Verfassungswidriges
Bundesbauordnungsrecht (2003)
von RA Johannes
Kirchmeier, Saarbrücken, 2003
bearbeitet von Paul Bossert
26. August 2006
CH-8955 Oetwil an der Limmat
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Verfassungswidriges
Bundesbauordnungsrecht (1984)
Zur
Energieeinsparungsverordnung 2002
1. Von den
Wärmeschutzverordnungen zur EnergieeinsparungsVO (EnEV)
1.1
Zum Titel „Verfassungswidrige Bundesbauordnungsrecht“ in BauR 6/1984
Der Titel
„Verfassungswidriges Bundesbauordnungsrecht“ provoziert jeden Kenner des
öffentlichen Baurechts. Das zweite Wort zeigt an, dass es sich bei der
Materie der Wärmeschutzverordnungen und der EnEV erstens um
materielles Bauordnungsrecht handelt und zweitens um Bundesrecht.
Bauordnungsrecht aber ist traditionell nach dem Gutachten des BVerfGs
Gegenstand ausschließlich der Landesgesetzgebung. Handelt es sich um
Bundesbauordnungsrecht, ist es verdächtig, schon deshalb verfassungswidrig
zu sein. Das erste Wort des Titels bestätigt – erstens – diesen Verdacht.
Hinter diesem Wort verbirgt sich – zweitens – die Tatsache, dass
der Regelungsinhalt materiell-rechtlich mit der Verfassung nicht vereinbar
ist, nämlich soweit er zur Erreichung seines Zwecks nicht erforderlich ist
und Freiheitsrechte einschränkend das Rechtsstaatsgebot verletzt.
Der Titel des ersten
Aufsatzes von 1984
hat die bezeichneten Kernfragen des öffentlichen Baurechts provozierend
zusammengefasst.
1.2
Zur unterbliebenen verfassungsrechtlichen Diskussion
Ortloff
verweist in
seinem Standardlehrbuch zum Bauordnungsrecht immer wieder auf den Aufsatz
von J. Kirchmeier von 1984. Die kommentierende Literatur
reflektiert nicht die Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen
Anforderungen. Bauphysiker, Ingenieure und Architekten
reklamieren, die das Gebäude umgebenden Wände verwalteten die Wärme im
Innern des Gebäudes das entgegen der der EnEV zugrunde liegenden Annahme
kein geschlossenes System sei. Die Ergebniswerte der von der VO verlangten
Dämmung entsprächen nicht der Prognose, die Dämmung rufe erfahrungsgemäß
Bauschäden bis zur Wertlosigkeit von Gebäuden hervor, und letztlich nütze
der Aufwand vieler Milliarden Euro für Wärmedämmung betriebswirtschaftlich
ausschließlich der Dämmstoffindustrie, hinter der die Ölproduzenten
stünden – bösartig ausgedrückt: die Ölmafia -, schade aber unzumutbar den
Eigentümern der Gebäude. Wenn auch nur eine dieser Reklamation berechtigt
und nicht falsifiziert ist, ist das verfassungsrechtlich relevant. Nicht
Einzelne, die man als Außenseiter abtun könnte, sind es, die ihre
Vorbehalte äußern, und es sind zu viele, denen man das Sapere aude Kants
zutraut. Es sind diejenigen, welche die in der Naturwissenschaft
geforderte Kritik üben, zu vorderst in der Physik. Bauphysik gehört dazu.
Sie richtet den Blick ausschnittsweise auf die Wärmelehre. Immer noch gilt
das experimentum crucis, das Schlüsselexperiment.
Die Kritik ist ernst zu nehmen. Die Verfechter des
Bundes-Wärmeschutzrechts aber vermeiden bis zur Stunde die dialogische
Auseinandersetzung.
Der Dialog muss zunächst unter Architekten und Ingenieuren auf dem Gebiet
der Bauphysik ausgetragen werden. Die Juristen werden sich voraussichtlich
so lange im Dialog vorsichtig zurückhalten, als sie die scheinbar oder
wirklich mathematisch aussehenden Formeln des aktuellen Regelwerks der
Anlagen zur EnEV und der DIN 4108 nicht verstehen. Herzog
hat das Dilemma der Juristen in seinem Festvortrag auf dem
Verwaltungsrichtertag 1992 in Aachen
zutreffend beschrieben. Je fremder den Juristen eine Materie ist, je
weiter entfernt vom Ausbildungsprogramm also die Materie ist, desto eher
neigen sie dazu, fremder Fachkunde gläubig zu folgen, und je vertrauter
ihnen die Materie ist, je mehr sie also Gegenstand der Ausbildung oder der
beruflichen Erfahrung ist, desto eher trauen sie sich ein eigenes Urteil
zu. Herzog freilich hatte richterliche Entscheidungen dazu zu
verteidigen, was die Juristen Einschätzungsprärogative oder auch
Beurteilungsspielraum des vollziehenden Rechtsanwenders nennen. Hier aber
geht es bei den Anlagen zur EnEV und den von ihr einbezogenen DIN-Normen
um richterlich voll überprüfbare Gesetzesbefehle an die
Rechtsunterworfenen. Iura novit curia. Der Richter muss das Gesetz selbst
verstehen. Scheinbar physikalische Formeln auszulegen ist ihm nicht
vertraut. Es gehört nicht zum juristischen Ausbildungsprogramm.
Der Richter – und
Rechtsanwälte – müssen sich die Fähigkeit durch Fortbildung aneignen.
Es gibt einen harmloseren Präzedenzfall, die VOB.
Sie war für Juristen ungenießbar. Erst als eine Generation später
Korbion
einen vorbildlichen Kommentar schrieb, bemächtigten sich die Juristen der
Materie der VOB. Da es sich bei der EnEV einschließlich ihrer Anlagen und
der von diesen einbezogenen DIN-Normen um anwendbares Bundesrecht handelt,
drängt sich der Dialog unter Architekten, Ingenieuren und Juristen über
den Norminhalt und seine Vereinbarkeit mit der Verfassung auf. Bisher ist
er ausgeblieben.
Wenn es zutrifft, dass es
sich bei der praktischen Anwendung der möglicherweise verfassungswidrigen
Anforderungen der EnEV um ein Milliardengeschäft zulasten der Bauherren
und der Nutzer der Gebäude handelt,
darf der Dialog nicht ausbleiben. Nach § 4 Abs. 8 der
Verwaltungsvorschrift enthält der Energieausweis den Hinweis darauf, dass
die Berechnung keinen Rückschluss auf den tatsächlichen Energieverbrauch
zulasse. Das demonstriert, dass auch dem Bundesbauministerium die
Ungewissheit bekannt ist. Die Kommentatoren zur Niedersächsischen
Bauordnung, Große-Suchsdorf und Lindorf
schreiben zu Recht, die Überwachung der Baumaßnahmen auf Einhaltung der
Nachweise über den Wärmeschutz durch die Bauaufsichtsbehörde sei schon
allein aus personellen Gründen nicht möglich.
[1] BVerfG, B. v. 16.06.1954 – 1 PBvV 9/92 -, BVerfGE 3, 407/430 ff. und
439.
[2] Kirchmeier, Verfassungswidriges Bundesbauordnungsrecht, BauR 6/1984,
586 = http://home.t-online.de/home/konrad-fischer/7enevver.htm.
[3] Ortloff, Öffentliches Baurecht II, 4. Aufl., S. 1 u. S. 35.
[4] Große-Suchsdorf und Lindorf, aaO, Rdnrn. 7 – 12; Franz, in: Simon,
BayBauO, Art. 16 Rdnrn. 15 ff.
[5] Kirchmeier, FN 2 dort FN 1; Paul Bossert, Geht die Wärmedämmung in die
falsche Richtung?, tec 21, Heft 37; Claus Meier, Richtig bauen.
[6] Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784), abgedruckt
in: Kant, Werke in zehn Bänden, Hrsg. Von Wilhelm Weichel, Band 9 und
Barbara Stollberg-Rilngler, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (Reclam
Universal-Bibliothek Nr. 1724), 280 und Popper, Wissenschaftslehre in
entwicklungstheoretischer und in logischer Sicht, in: Popper, Alles Leben
ist Problem lösen, 15.
[7] Popper, Logik der Forschung, 198..
[8] Hegner (Referent im Bundesministerium für Verkehrs-, Bau- und
Wohnungswesen), Die Energieeinsparungsverordnung, BBauBl 2002, Nr. 1, 38
ff. und Nr. 2, 32 ff; Rathert/Hegner, WärmeschutzVO, 2. Aufl., Langner,
Sonnenschutz- und EnergieeinsparungsVO, BBauBl 2002, Nr. 6, 40 ff;
Baumann/Györi/Muser, EnergieeinssparungsVO – Neue Anforderungen an die
Zusammenarbeit von Architekten und Fachingenieuren, BBauBl. 2002, Nr. 6 46
ff; Stock, Online-Workshop zur EnEV-Praxis, BBauBl 2002, 36 ff.
[9] Herzog, seinerzeit Präsident des BVerfGs, später Bundespräsident.
[10] Herzog, Verfassung und Verwaltungsgericht – Zurück zu mehr
Kontrolldichte?, NJW 1992, 2601.
[11] Das ist eine ganze Palette: VDE 3807 (§ 13 Abs. 5), DIN EN ISO 13789,
1999-10, DIN N 832: 98-12, DIN V 4108-6: 2000-11, DIN V 4701-10: 2001-02,
DIN EN ISO 6946: 1996-11, DIN EN ISO 1077-1: 2000-11, DIN EN 410: 98-12,
DIN N ISO 717-1: 1997-01, DIN 4102-13: 1990-05, DIN N ISO 6946: 1996-11
Anh. C, DIN EN 673: 2001-1 und DIN EN 13829: 2001-02.
[12] Ortloff, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 81 Rdnr. 54
f. Ein Schnellkurs tut es nicht. Da es sich um anwendbares deutsches Recht
handelt, scheidet aus, im Prozess einen Sachverständigen als Gehilfen des
Richters hinzu zu ziehen. Das Kostenrisiko, dass sich der Richter – oder
auch der Rechtsanwalt – die verlässliche Kenntnis des Norminhalts
verschafft, trägt rechtlich nicht eine am Prozess beteiligte Partei.
[13] Harmloser, weil die VOB einen Vertragsvorschlag formuliert, nicht
aber von den Rechtsunterworfenen, den Richter eingeschlossen,
anzuwendendes Gesetzesrecht ist.
[14] Korbion/Ingenstau, VOB.
[15] wie deren Gegner behaupten.
[16] aaO, s. FN 2, Rdnr. 8.
1.3
„Wärmeschutz“
Die
juristischen Probleme beginnen bei dem Wort „Wärmeschutz“. Es bezeichnet
traditionell den Schutz vor lästiger Wärme als unzumutbare Immission. §
906 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt:
„Der Eigentümer eines Grundstücks
kann die Zuführung von … Wärme, … u. ä. von einem anderen
Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die
Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich
beeinträchtigt.“
Der Reichsgesetzgeber 1896 hatte das
Wort Wärme in die Vorschrift aufgenommen, und so steht sie auch in der
geltenden Fassung des BGB 2002. Allerdings führt sie auch in der
kommentierenden Literatur ein Schattendasein. Zitiert werden nur
Entscheidungen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg über einen störenden
Backofen und über einen störenden Dampfkesselraum neben einem Eiskeller.
Heute dürfte die Wärmebelastung von Gewässern durch Industrie oder
Kraftwerke im Vordergrund stehen.
Thema der Wärmeschutzverordnungen
und der EnEV aber ist nicht Schutz vor lästiger Wärme. Thema ist die Wärme
oder auch die Kühle in Innenräumen. Den semantischen Fehlgriff der drei so
bezeichneten Wärmeschutzverordnungen hat der Bundes-Gesetzgeber erkannt
und die am 01. Februar 2002 in Kraft getretene VO jedenfalls im
Klammerausdruck für den Sprachgebrauch als Energieeinsparungsverordnung
bezeichnet. Halbherzig allerdings ist das, weil der vollständige Name
immer noch lautet „Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und
energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden“.
Was gemeint ist, ist klar!
1.5 Von den WärmeschutzVOen zur
EnEV
22.07.1976 |
Das förmliche, vom Bundestag
beschlossene Energieeinsparungs-Gesetz; BGBl. 1976, I, S. 1973, mit
Änderung vom 20.06.80, BGBl. 1980, I, S. 701 |
11.08.1977 |
1. WärmeschutzVO |
24.02.1982 |
2. WärmeschutzVO, BGBl. 1982, I,
S. 209 |
01.01.1984 |
Inkrafttreten der 2.
WärmeschutzVO, § 16 Abs. 1 WäremschutzVO |
1984 |
Aufsatz "Verfassungswidriges
Bundesbauordnungsrecht",
von Johannes Kirchmeier,
Saarbrücken in BauR 6/1984, 586 |
13.09.1993 |
Richtlinie 93/76/EWG des Rates
zur Bekämpfung der Kohlendioxidemissionen durch eine effizientere
Energienutzung (ABl. EG L 237 S. 28,
http://www.luftdicht.de/enev-richtlinie%2093-76-ewg.htm |
16.08.1994 |
3. WärmeschutzVO, BGBl. 1994, I,
S. 2121 |
16.11.2001 |
EnEV,
BGBl. 2001, S. 3085 |
01.02.2002 |
Inkrafttreten der EnEV und
Außerkrafttreten der WärmeschutzVO, § 20 EnEV |
2. Zur EnEV
2.1 Zweck
Krüger
bezeichnet in der zeitlichen Reihenfolge Motive gesetzlicher Aktivitäten
- den weltweit sprunghaften Anstieg der Energiekosten in den 70er Jahren und
- einen angeblich zusätzlichen
Treibhauseffekt durch CO2 aus der Verbrennung fossiler
Energieträger (Klimadebatte) seit den 80er Jahren.
Dem
Wandel des politischen Motivs folgte der Wandel des Zwecks der
gesetzlichen Regelung.
Die
EU-Richtlinie zielt darauf ab „die Qualität der Umwelt zu bewahren und
eine umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen zu
gewährleisten.“ Sie strebt an, dass die „Mitgliedstaaten das Ziel der
Begrenzung der Kohlen-Dioxid-Emissionen durch eine effizientere
Energienutzung, insbesondere durch die Aufstellung und Umsetzung von
Programmen verwirklichen“.
Ursprünglich war es darum gegangen,
auf den Engpass auf dem Energiemarkt zu reagieren. Sparsamer Umgang mit
Energiequellen war das Mittel.
Bei der EnEV handelt es sich um eine
Verordnung und nicht um ein formelles Gesetz. Sie muss also den
Anforderungen von Art. 80 GG genügen. Die Ermächtigung enthält § 1 Abs. 2
EnEG. Danach ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Verordnung mit
Zustimmung des Bundesrates Anforderungen an den Wärmeschutz von Gebäuden
und ihren Bauteilen festzusetzen. Die Anforderung kann sich auf die
Begrenzung des Wärmedurchgangs sowie der Luftwärmeverluste auf
ausreichende raumklimatische Verhältnisse beziehen.
Es könnte verführen anzunehmen,
Dämmung sei Zweck des Gesetzes. Gleichwohl ist anzunehmen, dass es sich um
das Mittel handelt und nicht um den Zweck. Zweck ist erstens
Klimaschutz, konkret: den CO2-Ausstoß geringstmöglich zu halten
und zweitens mit den nicht erneuerbaren Rohstoffen als natürlichen
Bestandteilen der Erde – auch für spätere Generationen – sparsam
umzugehen. Man kann das als Paradigmenwechsel im Energiewirtschaftsrecht
beschreiben.
2.2 Wärme - Wärmetransport
Wärme ist aufgrund von
Temperaturdifferenzen übertragene Energie. Der Wärmetransport erfolgt
durch entweder – erstens – Wärmeleitung oder – zweitens –
Konvektion oder – drittens – Wärmestrahlung. Das ist in Erinnerung
zu rufen, wenn es um die gesetzliche Regelung der Mittel dafür geht,
einerseits den CO2-Ausstoß geringstmöglich zu halten und
andererseits, mit Rohstoffen sparsam umzugehen, durch deren Verbrauch
Wärme erzeugt wird. Das Mittel, nämlich Dämmung, lässt sich nicht
selbstverständlich den beiden genannten Zwecken zuordnen.
2.3 Norm
Bauphysiker, Ingenieure und
Architekten pflegen unter Normen die Gesamtheit dessen zu verstehen, was
in den Normausschüssen als technische Regeln formuliert ist. Wenn Juristen
von Normen sprechen oder schreiben, meinen sie etwas gänzlich anderes,
nämlich die staatlichen Gesetzesbefehle. Das sind Gebote, Verbote,
Fiktionen, aber auch ermächtigen, erlauben und derogieren.
2.4 Zu einzelnen Regelungen
der EnEV mit Anlagen
2.4.1 20 Paragraphen, fünf
Anhänge und technische Normen
Der Inhalt der 20 Paragraphen, fünf
Anhänge und der vielen technischen Normen
kann hier nicht umfassend dargestellt, geschweige denn gewürdigt werden.
Es folgt eine Beschränkung auf einzelne, für die am Bau und an dessen
Nutzung Beteiligten bedeutsam erscheinende Probleme, herauszugreifen.
Dabei wird zunächst unbeachtet gelassen, ob und inwieweit die VO mit dem
Grundgesetz vereinbar ist.
Die Verordnung selbst hat sechs
Abschnitte. Der erste Abschnitt enthält allgemeine Vorschriften, der
Zweite bestimmt die Anforderungen an Neubauten, der Dritte die an
bestehende Gebäude und der Vierte die an heizungstechnische und an
Warmwasseranlagen. Der fünfte Abschnitt enthält eine Sammlung gemeinsamer
Vorschriften, nämlich über Energieausweise, über Regeln der Technik,
Ausnahmen und Befreiungen sowie Strafbestimmungen bei
Ordnungswidrigkeiten. Der sechste Abschnitt enthält die
Übergangsvorschriften und die Vorschrift über das Inkrafttreten der
Verordnung.
2.4.2
Zum 1. Abschnitt:
§
1 begrenzt die Geltung der VO auf Gebäude und schließt davon Ställe,
offene Hallen, unterirdische Bauten, Gewächshäuser, Traglufthallen, Zelte
und Gebäude aus, die dazu bestimmt sind, wiederholt aufgestellt und
zerlegt zu werden. Im Übrigen begrenzt die VO ihre Geltung auf Gebäude mit
normalen und mit niedrigen Innentemperaturen, und schließt Bestandteile
des Heizsystems ein, die nicht im räumlichen Zusammenhang mit Gebäuden
stehen. § 2 enthält 11 Begriffsbestimmungen, auf die bei den einzelnen
Vorschriften über Anforderungen jeweils zurückzugreifen ist.
2.4.3
Energiebedarfsausweis
§
13 verlangt sowohl für Neubauten als auch für wesentliche Änderungen einen
Energiebedarfsausweis bzw. für Gebäude mit niedriger Innentemperatur einen
Wärmebedarfsausweis. Das ist ein richtiger Gebäudepass. Der Ausweis muss
die nach der Verordnung erforderlichen Berechnungen für den Energiebedarf
bzw. für den Wärmebedarf enthalten. Die Einzelheiten sind in der
Verwaltungsvorschrift
enthalten. Der Ausweis ist EU-rechtlich durch die Richtlinie 93/76-EWG
vorgegeben.
VV v.
15.03.2002, Bundesanzeiger Nr. 52/2002.
Der Ausweis enthält sowohl für die
am Bau Beteiligten als auch für den Eigentümer ein Haftungsrisiko, dessen
Ausmaß sich derzeitig nicht abschätzen lässt. Zwar enthält der Ausweis nur
die Berechnungen. Er enthält nicht die Erklärung, dass er den
tatsächlichen Wärmebedarf des Gebäudes ausweist, nicht die Erklärung, dass
er den effektiven Energiebedarf ausweist und noch nicht einmal die
Erklärung, dass die Berechnungen richtig sind. Nach § 4 Abs. 8 der VV
enthält der Ausweis den Hinweis darauf, dass die Berechnung keinen
Rückschluss auf den tatsächlichen Energieverbrauch zulasse. Was aber die
Zivilgerichte haftungsrechtlich daraus machen werden, ist abzuwarten.
§ 4 Abs. 8 der VV lautet:
„Die angegebenen Werte des
Jahres-Primärenergiebedarfs und des Endenergiebedarfs sind vornehmlich für
die überschlägig vergleichende Beurteilung von Gebäuden und
Gebäudeentwürfen vorgesehen. Sie wurden auf der Grundlage von
Planunterlagen ermittelt. Sie erlauben nur bedingt Rückschlüsse auf den
tatsächlichen Energieverbrauch, weil der Berechnung dieser Werte auch
normierte Randbedingungen etwa hinsichtlich des Klimas, der Heizdauer, der
Innentemperaturen, des Luftwechsels, der solaren und internen Wärmegewinne
und des Warmwasserbedarfs zugrunde liegen.
Die normierten Randbedingungen sind
für die Anlagentechnik in DIN V 4701-10: 2001-02 Nr. 5 und im Übrigen in
DIN V 4108-6: 2000-11 Anhang D festgelegt. Die Angaben beziehen sich auf
Gebäude und sind nur bedingt auf einzelne Wohnungen oder Gebäudeteile
übertragbar.“
Die VO bestimmt weder, wer den
Ausweis zu erstellen hat, noch wem die Autorschaft rechtlich zuzurechnen
ist, sei es der Behörde gegenüber, sei es Dritten gegenüber. Der VO liegt
vielmehr die Vorstellung zugrunde, die Länder werden durch ihr
Landesbauordnungsrecht das Bundesbauordnungsrecht ergänzend ausfüllen. Die
EnEV aber bestimmt ein Einsichtnahmerecht in den Ausweis und dazu den
Kreis der Inhaber dieses Einsichtnahmerechts; das sind Käufer, Mieter,
sonstige Nutzungsberechtigte und zuständige Behörden, § 13 Abs. 4. Ein
Haftungsrisiko könnte sich insbesondere ergeben, wenn entweder die
Berechnung unrichtig ist oder das Gebäude nicht exakt nach der Berechnung
hergestellt ist oder den Anforderungen nicht entspricht und die Behörde
nachträglich rechtmäßig die Erfüllung der Anforderungen insbesondere an
die Wärmedämmung verlangt. Als Haftende kommen in Betracht: Derjenige, der
die Berechnung vorgenommen hat, derjenige, der den Ausweis hergestellt
hat, der Architekt, der Ingenieur, der Bauunternehmer, der Bauherr und der
spätere Eigentümer. Viele Fragen bleiben offen. Je mehr inhaltliche
Aussage man dem Ausweis beilegt, desto näher liegt ein Haftungsrisiko.
Umgekehrt: Je weniger Aussage der Ausweis enthält, desto ferner liegt ein
Haftungsrisiko, desto geringer aber wäre auch der Informationsgehalt des
Ausweises. Der Informationsgehalt stünde dann umgekehrt proportional zu
den gesteigert förmlichen Anforderungen an den Ausweis. Der begrenzte
Erklärungsinhalt, den die VO selbst dem Ausweis beilegt, braucht den
Zivilrichter, der über einen Schadensersatzanspruch zu entscheiden hat,
nicht daran zu hindern, den darin enthaltenen Angaben in Verbindung mit
den Begleitumständen der Einsichtnahme durch Auslegung einen
weitergehenden Erklärungsinhalt zu entnehmen, um auf eine wesentliche
Eigenschaft des Gebäudes zu schließen oder gar arglistige Täuschung
anzunehmen. Deshalb erfolgt der Rat, sich bei der Gewährung der
Einsichtnahme den Revers unterschreiben zu lassen, dass die Gewährung der
Einsichtnahme ausschließlich den in § 13 As. 4 EnEV bestimmten Anspruch
erfüllt und keine Erklärung über eine Eigenschaft oder die Rechtmäßigkeit
des Gebäudes enthält.
Die Bestimmung, dass der Ausweis
Rechte Dritter nicht berührt, § 13 Abs. 1 letzter Satz, stellt klar, dass
der Ausweis nichts i. S. v. § 35 der Verwaltungsverfahrensgesetze regelt.
Die Haftung für Fehler des Gebäudes oder auch nur des Ausweises
beeinflusst diese Bestimmung nicht.
Die Regelung über den
Energiebedarfsausweis ist irreführend. Sie enthält haftungs-rechtliche
Tücken. Sie gehört zum immer schneller wachsenden Bestand an die Freiheit
begrenzenden Regulierungen zweifelhaften Werts. Sie ist ein Paradigma
hierfür.
2.4.4
Neubauten und wesentliche Änderungen bestehender Gebäude
Die
zentralen Regelungen sind § 3 Abs. 2 letztes Merkmal:
„Zu errichtende Gebäude mit
normalen Innentemperaturen sind so auszuführen, dass … der spezifische,
auf die Wärmeübertragende Umfassungsfläche bezogene
Transmissionswärmeverlust die Höchstwerte in Anhang 1, Tabelle 1, nicht
überschreiten“,
und § 6 Abs. 1:
„Bei zu errichtenden Gebäuden sind
Bauteile, die gegen die Außenluft, das Erdreich oder Gebäudeteile mit
wesentlich niedrigeren Innentemperaturen abgrenzen, so auszuführen, dass
die Anforderungen des Mindestwärmeschutzes nach den anerkannten Regeln der
Technik eingehalten werden.“
Das ist klassisches
Bauordnungsrecht.
Die Regelung geht vom sog. U-Wert
aus. U bezeichnet die innere Energie eines geschlossenen Systems. „Die
innere Energie U eines Systems ist die Summe aller Energien des Systems,
die unabhängig von der Umgebung bzw. äußeren Bezugssystemen sind.“
Die in den Anlagen zur EnEV vorgeschriebenen Berechnungsmethoden verlangen
Dämmung nach einem Rechenfaktor, der die Bewegung von Wärme von innen nach
außen verhindern soll. Die EnEV fingiert und befiehlt, dass das Gebäude
ein geschlossenes System sei. Die Richtigkeit dieser normativen Fiktion
und die Zweckmäßigkeit dieses Befehls bestreiten ernstzunehmende
Bauphysiker und Ingenieure.
Sie meinen, die Energien innerhalb des Gebäudes seien nicht unabhängig von
der Umgebung bzw. von äußeren Bezugssystemen. Sie seien abhängig von der
die ankommende Energie verwaltenden, das Gebäude umgebenden Wand. Die EnEV
aber verlangt, äußere Einflüsse auf das angeblich geschlossene System zu
verhindern, und zwar durch Dämmung. Die Dämmstoffindustrie freut sich.
Die Berechnung und die
Wechselwirkung zwischen Konstruktion und Berechnungs-Ergebnis für das
einzelne Gebäude soll hohe Anforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten
des Architekten und andererseits des Ingenieurs stellen.
Baumann/Györi und Muser halten in ihrem Aufsatz deshalb ein
flammendes Plädoyer für eine „offene, fachkompetente und solidarische
Zusammenarbeit zwischen Architekten und Fachinge-
nieuren von Anfang an“.
Richtigerweise geht es um konzentrierte fachliche Kenntnisse und
Fähigkeiten desjenigen, der ein Gebäude plant und den Bau ausführt. Ein
einziger Fachkundiger kann das Gebäude planen und bauen. Das Recht
verlangt nicht, die Tätigkeiten auf mehrere typisierte Berufe zu verteilen
und dann die Zusammenführung zu organisieren. Nur muss der Eine die
konzentrierte Fachkunde haben.
2.4.5
Ausnahmen und Befreiungen
Normierter Normaltyp
./. anderen Normaltyp – Beweislastbelastung für Normales
§ 16 Bestimmt Ausnahmen und § 17
Befreiungen. Das Verhältnis zwischen Ausnahme und Befreiung ist bis heute
Gegenstand rechtstheoretischer Auseinandersetzungen.
Auf eine Unterscheidung von Ausnahme und Befreiung kommt es in der Praxis
nicht an. In den Blick zu nehmen sind erstens alternative
Bauweisen, insbesondere Ziegelbauten und Gebäude mit dicken und schweren
Wänden aus Natursteinen, wie sie für Repräsentationsgebäude aus dem 19.
und dem Anfang des 20. Jahrhundert überkommen sind und zweitens
alternative Heizsysteme. Das Dilemma desjenigen, der den Antrag auf
Ausnahme stellt, liegt darin, in seinem Einzelfall nachweisen zu müssen,
dass sein Vorhaben die oben bezeichneten Ziele der Verordnung durch andere
als in dieser Verordnung vorgesehene Maßnahmen im gleichen Umfang erreicht
werden. Das Schema entspricht zumindest nicht dem üblichen Schema, die dem
Gesetzgeber bekannten Methoden gleichwertig zu behandeln. Zu denken ist
allenfalls an ein allgemeines, gleichsam antizipiertes Gutachten, das
nachweist, dass die andere Maßnahme, z. B. der Ziegelbau mit schwerer Wand
die Ziele der EnEV mit gleichem Umfang erreicht. Selbst ein solches
Gutachten entbindet nicht im Einzelfall nachzuweisen, dass das Vorhaben
der in einem solchen Gutachten beschriebenen Maßnahme entspricht. Ein
allgemeines, gleichsam antizipiertes Gutachten sieht die EnVO nicht vor.
Dass die Bauaufsichtsbehörden solche Gutachten akzeptieren, steht auf
einem anderen Blatt.
Alle Bauweisen, die nicht derjenigen
entsprechen, auf die die in den Anlagen zur EnEV bestimmten
Berechnungsmethoden zugeschnitten sind, sind dadurch benachteiligt, dass
sie in Ausnahmen verwiesen sind. Dasselbe gilt für Heizmethoden. Das ist
nur die materielle Seite der Medaille. Wer nach dem vorgegebenen Schema
arbeitet, hat es leichter. Er hat es zunächst bei seiner Erarbeitung
leichter und sodann bei der eventuell zuständigen Behörde. Wer eine andere
Bauweise oder eine andere Heizmethode bevorzugt, den verweist die EnEV auf
den sehr viel steinigeren Weg der Ausnahme.
Ausnahmen und Befreiungen
relativieren die Vorschriften zwingenden Rechts. Im angloamerikanischen
und im internationalen Recht bezeichnen wir solche relativierende
Vorschriften als soft law. Relativieren können Vorschriften in
beide Richtungen, nämlich einerseits die Strenge des zwingenden Rechts
abmildernd und mehr Freiheit für den Einzelnen eröffnend und andererseits
an sich Zulässiges einengend. Die EnEV folgt nicht diesem nach beiden
Seiten hin allgemein offenen Schema. Sie öffnet ausschließlich, die
Strenge ihrer Regelungen mildernd in die eine einzige Richtung zu mehr
Freiheit im Einzelnen. Das ist das gesetzestechnische Schema der EnEV. Als
Ausnahmefall bestimmt die EnEV den Fall, dass ihre Ziele „durch andere als
in dieser Verordnung vorgesehene Maßnahmen im gleichen Umfang erreicht
werden“. Als hervorgehobenen Härtefall bestimmt sie den Fall, dass
die vom Regelwerk verlangten „Aufwendungen innerhalb der üblichen
Nutzungsdauer … durch die eintretenden Einsparungen nicht erwirtschaftet
werden können“, § 17 S. 2. Die EnEV geht noch weiter. Sie fingiert
normativ,
dass die in der Anlage verlangte Dämmung den Normzweck erfüllt, verlangt
aber für alle anderen ebenso typischen Fälle, dass der Bauherr die
Erfüllung des Normzwecks im Einzelfall beweist. Der Erfüllungsfiktion des
von ihr bevorzugten Falles setzt sie eine Beweislastforderung für alle
anderen Normaltypen im Einzelfall entgegen. Solange nicht widerlegt ist,
dass andere traditionelle Bauweisen oder Heizmethoden, auf die die EnEV
nicht zugeschnitten ist, den Zweck mindestens ebenso erreichen, so handelt
es sich bei den in der VO bestimmten Ausnahme- bzw. Befreiungsfälle um
typische Fälle. Es handelt sich dann nicht um atypische Fälle. Ein gutes
Gesetz regelt die – alle – vom Gesetzgeber vorgefundenen typischen Fälle.
Es normiert nicht eine vom Gesetzgeber bevorzugte Konstellation und
überlässt, was sonst im Leben typischerweise vorkommt, einer
Öffnungsklausel.
Das ist sachlich nicht
gerechtfertigte Ungleichbehandlung.
Wer das von der VO bestimmte
Regelwerk anwendet, braucht im Streitfall nur zu überzeugen, dass er es
richtig gemacht hat. In der VO ist nicht bestimmt, wer der Adressat ist,
den er überzeugen muss. In Betracht kommt die zuständige Behörde, ggf. der
die Behörde kontrollierende Richter, ein Käufer, ein Pächter oder
Nutzungsberechtigter und der Richter, der über dessen behaupteten
Schadensersatzanspruch schlichten oder entscheiden muss. Indem die VO
normiert, dass rechtmäßig handelt, wer das von ihr bestimmte Regelwerk
einhält, bevorzug sie diesen denjenigen gegenüber, die die Vorbezeichneten
Dritten in ihrer Meinungsbildung erst noch im Einzelfall beeinflussen
müssen. Soll solche Einflussnahme Erfolg versprechend sein, erfordert sie
nicht nur Kunstfertigkeit des Beeinflussenden,
sondern auch beim zu Überzeugenden, dass er am Ende überzeugt ist und
glaubt, was ihm der Überzeugende zur Gleichwertigkeit vorgetragen hat oder
dazu, dass sich die Aufwendung nicht erwirtschaften lässt.
Auf der einen Seite bestimmt das
Regelwerk die Rechtsunterworfenen bindend, dass es den Zweck der VO
erfüllt. Auf der anderen Seite bleibt die Feststellung, dass der
Betreffende den Gesetzeszweck erreicht, das Ergebnis eines Diskurses im
Einzelfall. Dass das zu unterschiedlichen Ergebnissen in gleichen Fällen
führen kann, liegt auf der Hand.
Ein gutes Gesetz regelt alle
typischen Fälle und überlässt ausschließlich Atypisches Ausnahmen und
Befreiungen. Die EnEV verlässt dieses Schema und verkompliziert die
Rechtsanwendung extrem für alle diejenigen, die nicht die oben
beschriebene Erfüllungsfiktion aufgreifen.
Nicht anders sieht es mit dem in der
VO ausdrücklich geregelten Befreiungsfall aus. Das ist der Fall, dass sich
die Aufwendung für das Dämmen nicht erwirtschaften lässt. Die VO verlangt
weder eine Gesamtenergiebilanz, die den Aufwand an Energie für die
Herstellung der Dämmstoffe, deren Transport und Anbringung einschließt,
ggf. deren Lebensdauer, wiederholte Herstellung und deren Entfernung und –
ggf. wiederholte Entsorgung. Noch verlangt sie eine Kosten-/Nutzenbilanz,
sei es betriebswirtschaftlich für das einzelne Gebäude oder gar
volkswirtschaftlich für die Gesamtheit der Gebäude. Ob die VO erlaubt, die
von ihren Kritikern durch die Dämmung zu erwartenden – und schon
festgestellten – Bauschäden in die Bilanz einzustellen, ist zumindest
offen. Da das Regelwerk normativ – als Fiktion – seine Richtigkeit
bestimmt, spricht manches dafür, dass zurechenbare Bauschäden in eine
Kosten-Nutzen-Rechnung nicht einzustellen sind. Ob Einsparungen i. S. v. §
17 S. 2 ausschließlich finanzielle Einsparungen sind, oder ausschließlich
Einsparungen an Energie oder beides, und wenn letzteres mit welcher
Gewichtung der Einen oder der Anderen, ist in der VO jedenfalls nicht
ausdrücklich bestimmt.
Das Wort „erwirtschaftet“ deutet
zwar auf den ersten Blick auf eine finanzielle Betrachtung. Den Geldbeutel
der Rechtsunterworfenen zu schonen ist aber nicht das Thema der VO und
nicht deren erklärter Zweck. Die von ihr im Vorspann bezeichnete
Ermächtigung erlaubt auch keine Auskunft. Vergleichen soll der Bauherr
seine Aufwendungen mit Einsparungen. Seine Aufwendungen bestehen
einerseits aus der Anschaffung, Anbringung und später Entfernung und
Entsorgung der Dämmstoffe und andererseits seinen geldlichen Ausgaben
dafür. Unterlässt er die Aufwendungen, kauft er nach der der VO zugrunde
liegenden Vorstellung für die Nutzungsdauer der Aufwendung mehr Energie
ein. Stellen wir uns vor, die VO honorierte die von ihren Kritikern
behauptete kurze Haltbarkeitsdauer der Dämmstoffe. In diesem Fall öffnete
die VO ihre Nichtanwendung für diesen Normalfall. Sollten die Kritiker zur
Haltbarkeitsdauer und der sich aus ihr ergebenden ungünstigen
Gesamtenergie- und Kosten-Nutzen-Bilanz Recht haben, bestimmte die VO
materiell-rechtlich, dass sie nicht anzuwenden ist.
Die VO bestimmte ihre eigene
Nichtanwendung.
Zu den Befreiungen ist zum
Verhältnis von Bundes- zu Landesrecht nachzutragen: Wer nachträglich
Dämmstoff auf eine Wand aufbringen will, sei es auf die Wand eines
bestehenden Gebäudes i. S. d. Abschnitts 3, sei es zur Fehlerbeseitigung
bei einem neu errichteten Gebäude i. S. d. Abschnitts 2, benötigt Raum,
der bei der offenen Bauweise
in die landesrechtlich bestimmte Abstandsfläche zu liegen kommen könnte.
Die Bauordnungen einiger Länder bestimmen für die nachträgliche Anbringung
von Dämmstoffen an bestehenden Gebäuden i. S. d. Abschnitts 3, dass sie in
der Abstandsfläche zulässig ist. Diese Bestimmungen gelten nicht für die
Fehlerbeseitigung bei einem Neubau i. S. d. Abschnitts 2, wenn also der
Bauherr Rechtsfehlerhafterweise den Dämmstoff nicht angebracht hat, die
Außenfläche der Wand gerade die Abstandsfläche einhält. Sowohl in diesen
letztgenannten Fällen als auch in den Ländern, in denen der Dämmstoff an
ein bestehendes Gebäude nicht in der Abstandsfläche zulässig ist, ist
sowohl an eine Befreiung nach Landesrecht als auch an eine Befreiung nach
der bundesrechtlichen Vorschrift des § 17 EnEV zu denken. Das ist eine
bemerkenswerte Konkurrenz von Bundesrecht und Landesrecht. Das
Konfliktlösungsschema ließe sich sowohl dem Landes- als auch dem
Bundesrecht entnehmen. Die Bauordnungen aller Länder stellen an eine
Befreiung – hier von der Abstandsflächenvorschrift – die Anforderung, dass
es sich um eine unbeabsichtigte Härte handelt. Ließe man die Befreiung
nach Landesrecht zu, so setzte sich das Bundesbauordnungsrecht gegen die
landesrechtliche Abstandsflächenbestimmung durch. Ließe man die Befreiung
nach § 17 EnEV zu, so setzte sich das Landesbauordnungsrecht gegen
Bundesrecht durch, nämlich gegen die EnEV.
§ 22
BauNVO.
Dass die bundesrechtliche Forderung
nach Dämmung eine unbeabsichtigte Härte sei, kann man ihr objektiv nicht
zugestehen. Eine landesrechtliche Befreiung scheidet aus. Kann der Bauherr
auf seinem Grundstück eine zwingende gesetzliche Anforderung nicht
erfüllen, so muss er sie unterlassen. Das aber kann eine unbillige Härte
i. S. v. § 17 EnEV sein, sodass die Befreiung nach Bundesrecht zu erteilen
wäre. Schwieriger ist es, wenn der Bauherr die Dämmung zur
Fehlerbeseitigung seines Neubaus nachträglich aufbringen muss. Das ist
zwar hart, nach dem von ihm missachteten Gesetzesbefehl aber nicht
unbillig. Darüber hinaus kann der Nachbar verlangen, dass der Bauherr die
Abstandsvorschrift einhält.
Ergo: Der Bauherr geht ein hohes
Risiko ein, wenn er die verlangte Dämmung seines Neubaus unterlässt und
nicht wenigstens vorsorglich den Raum innerhalb der Abstandsfläche hierfür
freilässt. Der Architekt und der Ingenieur geht gleichermaßen ein
Haftungsrisiko ein. Kaum vorstellbar sind der technische und der
finanzielle Aufwand, der erforderlich ist, eine vorhandene Wand so weit
abzuspitzen, dass die nachträglich aufzubringende Wärmedämmung darauf
passt und die Abstandsfläche einhält.
3. Fehlende
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
3.1 Gutachten des BVerfGs vom
16. Juni 1954 – 1 PBvV 2/52 -
Auf gemeinsamen Antrag des
Bundestages, des Bundesrats und der Bundesregierung hat das BVerfG am 16.
Juni 1954 sein Gutachten über die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes am
dem Gebiet des öffentlichen Baurechts erstattet.
Solche Rechtsgutachten des BVerfGs waren seinerzeit noch vorgesehen. Die
7. Frage lautete:
„Erstreckt sich die
Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach dem Grundgesetz, insbesondere nach
Art. 74 Ziff. 18 GG unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG, auf
folgende Gebiete:
7. das Baupolizeirecht im
bisher gebräuchlichen Sinne?“
Diese Formulierung stammt vom
Bundesrat. Die Bundesregierung hatte ursprünglich den auch heute allgemein
gebräuchlichen und korrekten Ausdruck Bauordnungsrecht verwendet
und u. a. gefragt, ob der Bund zuständig sei, folgende Materien zu regeln:
„b) grundsätzliche Anforderungen
baukonstruktiver … und bauwirtschaftlicher Art an Bauwerke …,
d) die Pflicht zur
ordnungsmäßigen Unterhaltung und Instandsetzung oder Beseitigung
bei
ordnungswidrigen Zuständen.“
Das BVerfG hat zunächst die
Entwicklung der bezeichneten Rechtsmaterie nachgezeichnet und
hervorgehoben, dass das herkömmliche Bauordnungsrecht auch der „allgemeinen
Wohlfahrt dienende Absichten verfolgt“.
Zu Absichten der allgemeinen Wohlfahrt gehört, Energie zu sparen und die
Umwelt zu schützen. Das BVerfG hat die Frage abschließend beantwortet, für
den Bereich des Bauordnungsrechts, der übrig bleibt, wenn das
Planungsrecht ausgeschieden ist,
„kann eine Zuständigkeit der
Bundesgesetzgebung nicht anerkannt werden.“
„Das Baupolizeirecht ist eine Rechtsmaterie für sich, und eine
Bundeskompetenz lässt sich nicht durch Auslegung der damit in Zusammenhang
stehenden Einzelmaterien begründen. Ausschlaggebend ist, dass das von
jeher zur Landeskompetenz gehörende Baupolizeirecht im Kompetenzkatalog
des Grundgesetzes nicht enthalten ist …“
Allerdings hat das BVerfG in diesem
Zusammenhang auch ausgeführt:
„Soweit der Bund ein Recht zur
Gesetzgebung auf bestimmten Lebensgebieten hat, muss er daher auch das
Recht haben, die dieses Lebensgebiet betreffenden spezial-polizeilichen
Vorschriften zu erlassen. Da aber das ‚Bauwesen’ nicht in den Katalog der
Bundeszuständigkeiten aufgenommen worden ist, fehlt es für das
Baupolizeirecht als Ganzes an einer derartigen Voraussetzung.“
3.2
Energiewirtschaft
Das Recht der Energiewirtschaft ist
nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung
des Bundes und der Länder. Das Recht der Energiewirtschaft war im
ursprünglichen Sinn das Recht für die Energieunternehmen, das
Planungsrecht zur Fortleitung von Energieträgern, die Bewirtschaftung der
vorhandenen Energiemengen und das Recht der Verbraucher zu den
Energielieferern. Im Zuge des oben schon bezeichneten Wandels gehört der
sparsame Umgang mit den Ressourcen zur Erzeugung von Energie sicher auch
zum Gesetzgebungsgegenstand der Energiewirtschaft.
Die zu beantwortende Frage ist, ob
das Recht des Bundes zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Energiewirtschaft
mit den spezial-polizeilichen Vorschriften das Recht einschließt, die
speziellen Anforderungen an Gebäude zu bestimmen, genauer: an die
Außenwände der Gebäude.
In beiden Lebensbereichen geht es
in Bezug auf Gebäude darum, der „allgemeinen Wohlfahrt dienende
Absichten“ zu verfolgen. Hier geht es um Regelungen zur
Verbraucherbeschränkung im Bereich der Baukonstruktion. Die Frage wird
kontrovers beantwortet.
Die Annex-Gesetzgebungszuständigkeit bezieht sich auf die Adressaten
innerhalb der Energiewirtschaft, nicht aber auf Verbraucher. Die gestellte
Frage kann deshalb nur im verneinenden Sinne beantwortet werden.
Bejahend
speziell für das Bauwesen, BT-Drucks. 8/324; Rengeling, BK, Art. 74
Rdnr. 62; allgemein Dannecker/Spoerr, Verfassungs- und
Europarechtswidrigkeit landesrechtlicher Stromheizungsverbote – zur
föderalen Kompetenzverteilung in der Energiewirtschaft, DVBl. 1996, 1094
f.; Vorsichtig bejahend Degenhart, in: Sachs, 2. Aufl., Art. 74
Rdnr. 39 und Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 4. Aufl., Art. 74
Rdnr. 106; verneinend Sander, Unzulässigkeit von
Stromheizungs-Verboten durch die Länder trotz hochgesteckter CO2-Minderungs-zIele
der Bundesregierung?, RdE 1994, 21/220, Pestalozzi, in: v. Mangoldt/Klein,
3. Aufl., Art. 74 Rdnr. 567 und Maunz, in: Maunz-Dürig-Herzog, Art.
74 Rdnr. 152 und 152.
3.3
Luftreinhaltung
Die
Luftreinhaltung ist nach Art. 74 Nr. 24 GG Gegenstand der konkurrierenden
Gesetzgebung.
Bei der EnEV geht es darum, das
Klima möglichst geringfügig oder gar nicht zu beeinflussen, nämlich durch
Zuführung von CO2 in die bodennahe Atmosphäre. Klima ist nicht
Luft. Luft – auch die bodennahe Atmosphäre – ist nicht Klima. Die
Beeinflussung des Klimas als Gesetzgebungsmaterie lässt sich nicht ohne
weiteres dem Regelungsgegenstand Luftreinhaltung zurechnen.
CO2 ist, obwohl nur in
geringer Menge in der Luft vorhanden, ein wichtiger Bestandteil der Luft,
vor allem in der bodennahen Atmosphäre, weil es das Leben erst ermöglicht.
Leben gäbe es ohne CO2 nicht.
Die Gesetzgebungsmaterie
Luftreinhaltung befasst sich mit der Zuführung von Schadstoffen in die
bodennahe Atmosphäre. Die anthropogene Zuführung des lebensnotwendigen
Bestandteils von Luft in die bodennahe Atmosphäre lässt sich nicht ohne
weiteres mit der Zuführung von Schadstoffen gleichsetzen. Die These ist,
da CO2 einen Treibhauseffekt bewirke und diese eine Erwärmung
der Atmosphäre, bewirke anthropogene Zuführung von CO2 einen
zusätzlichen Treibhauseffekt.
Hoch umstritten ist, ob anthropogene Zuführung von CO2 in die
bodennahe Atmosphäre das Klima messbar beeinflusst. Seitz verweist
in seinem Rundschreiben, dem sich 18.000 Wissenschaftler angeschlossen
haben, auf folgenden Sachverhalt. Der mengenmäßig weitaus größte Austausch
an CO2 findet zwischen den Weltmeeren und der atmosphärischen
Luft statt. Die Weltmeere sind ein riesiger Speicher für CO2.
Die Weltmeere geben das gespeicherte CO2 an die Atmosphäre ab
bzw. nehmen es von dieser speichernd im Verhältnis der globalen
Wolkendecke bzw. des globalen wolkenfreien Himmels ab, und die globale
Wolkendecke bzw. der globale wolkenfreie Himmel steht im selben Verhältnis
zur Sonnenaktivität. Das sei über einen langen Zeitraum mit sehr großer
Übereinstimmung beobachtet. Eine auch nur annähernd ähnliche
Übereinstimmung zwischen anthropogener Zuführung von CO2 in die
bodennahe Atmosphäre und der Änderung des Klimas ist bisher nicht
gelungen.
Übereinstimmung besteht darüber, dass der Begriff des Klimas facettenreich
ist.
„In der gegenwärtigen Klimaforschung wird das Klimasystem als
Zusammenspiel bzw. als ein sich wechselseitig beeinflussender Prozess von
Atmosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre (also die Sphäre von Eis und Schnee)
und Biosphäre verstanden und nicht als ein Prozess, der sich im
Wesentlichen auf die bodennahe Atmosphäre beschränkt“.
Übereinstimmung besteht auch darüber, dass der Mensch das Klima durch
zusätzlichen Zufluss von CO2 in die bodennahe Atmosphäre,
wenn dann nur sehr weiträumig und in sehr langen Zeiträumen beeinflussen
ließe.
Als Zeitraum kommen 100 bis 1'000
Jahre in Betracht. Der Raum des Klimas ist eine globale Angelegenheit.
Dass die einem einzelnen Gebäude in
Deutschland zurechenbare Zuführung von CO2 in die bodennahe
Atmosphäre das Klima messbar beeinflussen könnte, ja sogar mit Messbarkeit
in überschaubar entfernter Zukunft zu rechnen sein könnte, ist schlechthin
ausgeschlossen.
Da CO2 einerseits
nicht mit einem Gift oder Schadstoff gleichzusetzen ist und andererseits
der einem einzelnen Gebäude zurechenbare Zufluss an CO2 in die
bodennahe Atmosphäre das Klima nicht beeinflusst, handelt es sich beim
Dämmbefehl der EnEV für das einzelne Gebäude nicht um die
Gesetzgebungsmaterie Luftreinhaltung.
3.4
Verhältnis von EU-Recht und Bundesrecht und zu Landesrecht
Die
§§ 3 – 7 und 8 Abs. 3 und die Anhänge 1, 2 und 4 der EnEV dienen der
Umsetzung des Art. 5 der Richtlinie 93/76-EWG vom 13.09.1993.
Es handelt sich um eine Richtlinie gem. Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag, die
an die Mitgliedstaaten gerichtet ist.
Seine Kompetenz entnimmt der Rat Art. 235 EWG-Vertrag.
Die Richtlinie verlangt von den
Mitgliedstaaten Programme. Deren Umfang ist den Mitgliedstaaten
überlassen. Im Einzelnen:
Die EU strebt an, dass die
Mitgliedstaaten das Ziel der Begrenzung der Kohlen-Dioxid-Emissionen durch
eine effizientere Energienutzung, insbesondere durch die Aufstellung und
Umsetzung von Programmen verwirklichen, dazu gehören der Energieausweis
für Gebäude und die Wärmedämmung von Neubauten, die regelmäßige
Überprüfung von Heizkesseln sowie Energiebilanzen in Unternehmen mit hohem
Energieverbrauch.
Art. 2 bestimmt:
"Die Mitgliedstaaten erstellen
Programme im Zusammenhang mit dem Energieausweis für Gebäude und führen
diese durch. Der Energieausweis für Gebäude mit einer Beschreibung ihrer
energiebezogenen Merkmale dient zur Information potentieller Nutzer eines
Gebäudes über die effiziente Energienutzung eines Gebäudes. Ggf. kann der
Energieausweis auch Möglichkeiten zur Verbesserung dieser energiebezogenen
Merkmale aufzeigen."
Art. 5 bestimmt:
"Die Mitgliedstaaten erstellen und
verwirklichen Programme mit dem Ziel, eine wirksame Wärmedämmung für
Neubauten auf lange Sicht nach Normen zu erreichen, die von den
Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Klimabedingungen und –zonen und
des Verwendungszwecks des Gebäudes festgelegt werden."
Art. 8 bestimmt:
"Die Mitgliedstaaten bestimmen den
Umfang der in den Art. 1 – 7 genannten Programme auf der Grundlage
potentieller Verbesserungen des Energienutzungsgrads, des
Kosten-Nutzen-Verhältnisses, der technischen Durchführbarkeit und der
Umweltverträglichkeit."
Umzusetzen sind die Programme
entsprechend der inneren Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten. Nach
allgemeinem Verständnis ist diese Umsetzung in Deutschland Ländersache.
Im Übrigen gehen die von der EnEV
bestimmten Anforderungen weit über das hinaus, was die Richtlinie
verlangt, wie dargestellt.
4. Normzweck, Rechtsstaatlichkeit
und Freiheitsrechte
4.1 Anforderungen der
Wissenschaft an die Anerkennung als Naturgesetz
An die Richtigkeit der
wissenschaftlichen Beschreibung eines Vorgangs stellt die Wissenschaft die
Anforderung erstens, dass sie logisch ist und zweitens, dass
sie sich bei der Beobachtung der Vorgänge – auch im Experiment –
unverändert wiederholt.
Popper beschreibt, was die Wissenschaft zu dem macht, was sie ist,
werde „erreicht, vor allem anderen, durch die objektive, öffentliche,
sprachliche Formulierung ihrer Theorien.“
Die Annäherung an die Wahrheit sei seiner Meinung nach eine der
wichtigsten Ideen der Wissenschaftstheorie.
In Prüfungen, insbesondere intelligent ausgedachten Experimenten, muss
sich die Theorie bewähren, und zwar immer wieder.
Der durch Falsifikation zu bestätigende Irrtum ist notwendiger Bestandteil
der Annäherung an die Wahrheit. Die Frage, ob die der EnEV zugrunde
liegende Theorie am Maßstab der vorgeschriebenen Anforderungen bis heute
geprüft wurde, ist mit nein zu beantworten!
Die in diversen Vorträgen und
Diskussionen gemachten Äußerungen offenbaren meistens zwei widerstreitende
Aussagen. Die Gegner der Theorie behaupten nicht nur, die Theorie der
Anhänger der Wärmedämmung sei nicht nur nicht bewiesen, insbesondere nicht
im Experiment, sondern darüber hinaus, sie sei falsifiziert.
Gertis bestreitet die Falsifikation. Der Befund solchen
unversöhnlichen Streits irritiert auf den ersten Blick.
Das Problem liegt darin, echte
Falsifikationen von scheinbaren Falsifikationen zu unterscheiden.
Popper beschreibt das so: Wer mit einer Falsifikation konfrontiert
ist, könne sich „immer irgendwie herausreden; wir können eine
Hilfshypothese einführen und die Falsifikation zurückweisen. Wir können
unsere Theorien gegen alle möglichen Falsifikationen ‚immunisieren’“.
Handelt es sich bei der den Behauptungen der Gegner der EnEV zugrunde
liegenden Theorie um eine echte Falsifikation, oder versuchen die
Anhänger zu Unrecht, die Falsifikation zu immunisieren?
Das Regelwerk der EnEV behandelt das
Gebäude wie eine Käseglocke. Nichts an Wärme im Innern darf nach außen
entweichen. Und nichts an Wärme von außen soll nach innen dringen. Lüften
soll der Benutzer des Gebäudes im Idealfall durch spezielle
Lüftungstechnik. Dem liegt die These zugrunde, dass das Gebäude ein
geschlossenes System sei, wie oben in Kapitel 2.4.4 beschrieben ist.
Erweist sich das Gebäude nicht als geschlossenes System, wie die der
Gegner der der EnEV zugrunde liegende These annimmt, ist die These der
Befürworter der Dämmung falsifiziert und die Falsifikation auch nicht
immunisierbar. Die vielfältigen Erfahrungsergebnisse sprechen dafür, dass
sich die der EnEV zugrunde liegende These eben nicht bewährt hat, sondern
dass sie falsifiziert ist. Angeblich erweist sich im Experiment immer
wieder, dass sich durch extreme Dämmung insbesondere die Feuchtigkeit
innerhalb des Gebäudes hält, die nicht weggeht und damit Nährboden für
Milben und Schimmelpilze ist, welche ein erhebliches Gesundheitsrisiko
darstellen. Das kann ein Bauschaden sein, der die Nutzbarkeit des Gebäudes
erheblich einschränkt oder sogar aufhebt.
4.2 Anforderungen an die
„Richtigkeit“ in Bezug auf den Normzweck
Das Rechtsstaatsgebot verlangt
Richtigkeit und Wahrheit. Beide sind elementar und unverzichtbar. Maßstab
für die Richtigkeit und die Wahrheit ist der Normzweck.
Der Normzweck ist, erstens
mit den Ressourcen zur Erzeugung von Wärme sparsam umzugehen und
zweitens, die Abgabe von CO2 an die bodennahe Atmosphäre
geringstmöglich zu halten, um eine Veränderung möglichst zu vermeiden.
Das Mittel muss nicht nur geeignet
sein, den Normzweck zu erreichen, sondern es muss hierfür auch
erforderlich sein. Maßgebend ist der dem Gesetz objektiv zu entnehmende
Wille des Gesetzgebers.
Haben die Kritiker der der EnEV
zugrunde liegenden These Recht, dass das vom Regelwerk verlangte Mittel
der Dämmung allenfalls in bestimmten Konstellationen eine Chance hat, den
Normzweck zu erreichen, so ist das Mittel eben nicht erforderlich und
entspricht nicht der Anforderung an Rechtsstaatlichkeit.
Für den Bauherrn, der Eigentümer
ist, enthält das Regelwerk Eigentumsinhalts-bestimmung i. S. v. Art. 14
Abs. 1 S. 2 GG. Da allein er investiert, geht es um sein Eigentumsrecht
als Freiheitsrecht. Hinzu kommt das Freiheitsrecht des Architekten, des
Ingenieurs und des Bauphysikers nach seiner Fantasie zu planen. Die
Freiheit ihrer Fantasie ist zwar vielfältig durch bauordnungsrechtliche
Vorschriften begrenzt. Zugunsten der Masse der bauordnungsrechtlichen
Vorschriften ist zu verbuchen, dass sie ihren Zweck verlässlich erreichen.
Für das Regelwerk der EnEV ist gerade das bestritten.
BVerfG, U. v. 21.05.1952 – 2 BvH 2/52 -, BVerfGE 1, 299/312.
Eine Einschränkung dieser Anforderung gilt, wenn einer erheblichen Gefahr
für ein erhebliches Rechtsgut entgegenzuwirken ist, ohne dass aufgrund der
bisher vorliegenden Forschungsergebnisse bekannt ist, ob das Mittel
erforderlich ist. Die BSE-Krise hat das offenbart. Diejenige Rinderherde
zu töten, die verdächtig ist, dass von ihr die tödliche Gefahr ausgehen
kann, lässt sich aus rechtsstaatlichen Gründen rechtfertigen, auch solange
die Zusammenhänge der Verbreitung der Krankheit noch nicht verlässlich
erforscht sind. Um eine solche Gefahrenkonstellation geht es hier nicht.
Anzufügen ist: Das Fenster ist eine
Öffnung der Wand. Die Funktion dieser Öffnung ist u. a., den Kontakt nach
außen zu ermöglichen. Die EnEV verbietet zwar nicht, ein Fenster in dieser
Funktion des Kontakts nach außen zu öffnen, sei es um der Amsel zu
lauschen oder dem Murmeln des Bachs in meinem Garten oder um mit meinem
Nachbarn oder einem Vorübergehenden eine Schwatz zu halten. Und doch
konterkariere ich den Zweck der von der EnEV verlangten Wärmedämmung, wenn
ich durch mein Handeln die Funktion des Fensters als Kontakt nach außen
erfülle.
Die oben in Kapitel 2.4 beschriebene
Erfüllungsfiktion ist falsifiziert, jedenfalls hat sie sich nicht
hinreichend bewährt. Damit verstößt die Erfüllungsfiktion gegen das
Rechtsstaatsgebot und rechtfertigt nicht die das Freiheitsrecht des
Eigentümers einschränkende Eigentumsinhaltsbestimmung und auch nicht, die
Fantasie der Architekten und Ingenieure einzuschränken.
Aufgrund
aller oben vorgebrachten Gründe ist die EnEV verfassungswidrig und
verstößt demzufolge gegen das Grundgesetz!
Fußnoten
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